Warum eine „Philosophie der Kunst“ betreiben?

Warum sollte man über Kunst philosophieren und das gar bis zur „Kunst als Philosophie“ (Pippin) weiter treiben? Sicher, man kann über alles Mögliche philosophieren, wie es ja Roland Barthes auch tut, indem er über die „Mythen des Alltags“  inclusive „Steak-Frites“ reflektiert. Viele Philosophen schreiben über die Ästhetik. Aber sie sind, wie die Kunsthistoriker, keine künstlerische Praktiker. Welcher Maler bemüht sich schon objektiv um eine Kunstphilosophie?

Da gibt es ja die Kunstgeschichte, die spätestens seit Vasaris Tagen die Mythen, Symbole, Formgebungen, Stile und Ausdrucksweisen der Kunst und der Künstler behandelt. Mit Descartes gerät sie dann in rationalistisches Fahrwasser, danach verfährt sie empiristisch und zum Ende des 18. Jahrhunderts gerät sie in einen idealistischen Sog. So entwickelte sich die Kunstgeschichte in der Neuzeit fort, bis sie sich im 19. Jahrhundert bei den (Natur-) Wissenschaften positivistisch etablierte. Seit dem 20. Jahrhundert nun definiert sich der Kunsthistoriker als Kunstwissenschaftler. Als solcher beobachtet und verwaltet er umfänglich das heterogene Feld der Kunst, klärt die Wandlungen des Kunstbegriffes im Laufe der Zeit, listet die Tätigkeitsbereiche Malerei, Grafik, Bildhauerei wie und Orte Kloster oder Atelier. auf, beobachtet die damit involvierten Systeme, schätzt den Kunstmarkt und dessen Spekulationen ab. Dazu betrachtet man die Ikonografie und Formen des Kunstwerkes, seine Techniken, entwickelt Stilanalysen und erforscht soziologisch die anthropologischen Hintergründe, kommt auch zur Bildanalyse, den Kontexten wie Diskursen. Ja man berücksichtigt auch die Ästhetiken, Kunsttheorien, technischen Entwicklungen, ja das ganze Gebiet von Kulturtheorien. Warum dann noch Kunstphilosophie betreiben?

Die Wissenschaft beobachtet, analysiert, bemisst, berechnet, sammelt und archiviert das Phänomen Kunst im globalen Raum von Technik, Kapital, Medium. Sie macht das, was eine mathematisch-technische Welt ihr abverlangt. Die poetisch bestimmte Topologie bleibt dabei ausgenommen, soweit sie nicht dem Entertainment und Ablenkung, der medialen Seite des KTM dient. Die Kunstwissenschaft bleibt bemüht, diese poetische Topologie im Sinne eines exaltierten Physikalismus naturwissenschaftlich zu schablonisieren. Hier arbeitet eine Idee-Materie-Matrize eines bemühten Globalismus und legt den Menschen in seinen Handlungen fest. Das, was die globalen Universalien unserem Mainstream medial vorgeben, kann dann auch wieder, wenn es kein Geld generiert, geschreddert werden oder gelangt in die medial gesteuerten Archive. Vielleicht will der/die Eine oder Andere noch Relikte alter Ikonen anbeten?! Jedenfalls versucht die Wissenschaft, dieses weltumspannende Feld zu strukturieren. Das unfassbare Mentale, regionales Sentiment, den biosphärischen Hintergrund wie die innere Erleuchtung übergeht diese Wissenschaft. Da, wo ihre Messinstrumente versagen, versagt ihr Erkenntnisgewinn.

So sieht eine grobe Beschreibung des zeitgenössischen wissenschaftlichen Fluxus aus, in der diese öffentlich meinenden Scheinmenschen persönlicher Entfaltung und Intimität keinen Platz schenken. Wer kommt denn noch auf den Gedanken, dass die Kunst einen Wert an sich hat und nicht für die öffentliche Kenntnisnahme allein existiert? So dachten die Höhlenmaler und folgten allein ihrer ganz eigenen personalen Inspiration. Eine ansprechbare Öffentlichkeit kannten sie nicht. Die Deckenmalerei war allein für das Betreiben ihrer privaten Willensfreiheit vorgesehen. Der künstlerische artifizielle Entwurf entkommt einer individuellen Illusion, bleibt eine Projektion aus privat intimer Vorstellung von Welt. Die solchermaßen poetische Initiative entreißt diesen stereotypisierenden Universalien, der allgemein verbindlichen Weltsicht den camouflierenden Schleier der Maja (lt. Schopenhauer). Allein eine Poetik bzw. Offenbarung des kreativen Schöpfens ermöglicht die intim-atomare Freiheit. Im mathematisch-technischen Bereich dagegen folgt alles der ihr inne wohnenden mathematischen Notwendigkeit als einziger Möglichkeit. Der Künstler ist dagegen stets bemüht, die konventionellen Grenzen zu durchbrechen.

Seit etwa 2.500 Jahren, seit den Vorsokratikern, betreibt die Philosophie im Wesentlichen die Erkenntnissuche nach dem Grund der Welt. Daher übt sie auch ihre Diskurse über die vom Menschen geschaffene Artifizialität und ordnet dies unter Kunstphilosophie oder Ästhetik. Hiernach entsteht ein Kunstwerk erst beim  Verstehen von Kunst. Doch da liegt der Bruch, die Kehre, die nur philosophisch verständlich wird. Denn Kunstwerke sind allein visuell-haptisch verstehbar, die logische Sprache versagt hier. Ein Sprechen über Bildwerke bleibt stets unzulänglich. Ja, neuerdings versteht man die Kunst als sprachlose Fortsetzung der Philosophie mit anderen Mitteln (Pippin). Ein visuell geäußerter Wahn eröffnet Dimensionen, die keine positivistische Rhetorik je umfassen kann (die Kunstwissenschaft selbst versteht sich hier zu Recht externalistisch). Die Wissenschaft bleibt also hoffnungslos eingeschränkt, wegen ihrer materialistisch-positivistischen Oberfläche, die auch gewollt ist. Wo emphatisch intuitives Schauen, jenseits aller Sehlegasthenie, gefordert ist, hat jedes Gerede sein Recht verloren. Da erkennt die Philosophie die Paradoxie der Vernunft. Wie will man rational vorgehen, wenn die Kunst das Irrationale, den Wahn bis zur Paranoia betreibt? Der Kunstwissenschaftler sucht rational verständliche Antworten auf ein Ausdrucksfeld, welches sich der wissenschaftlichen Sprachlogik entzieht. Früher nannte man solche paradoxen Versuche einer Beantwortung dieser Frage eine Aporie.

Man kann so was mit der Religion vergleichen, die nicht die Vernunft sondern den Glauben anspricht. Dahinter stehen ethnoplastische Unternehmungen wodurch sich Gemeinschaften irrational ethisch-moralisch definieren. Die Kunst liefert das auch mittels Schöpfung gemeinschaftsbildender Symbole und Allegorien. Kunstwerke stellen transformierte humane Reflexionen über das Menschsein dar. Sie wirken ganz intuitiv und nicht theoretisch geplant am Menschenbild. Die Philosophie mag dessen paradigmatische Ursachen eruieren. Das trägt vielleicht auch zum Verstehen von Kunst bei.

Man muss einsehen, dass die Befragung der Kunst durch die Philosophie tiefer sowie weiter reicht als die der Wissenschaft. Letztere antwortet rein sophistisch und landet zwangsläufig in der Unwahrheit, weil Wissenschaft letztlich die freie Kunst verneint. In einer inkontingenten Welt, in der die Dinge mit der Natur in ihrer Zeit fließen, baut die Wissenschaft an ihrer eingebildeten Statik und verharrt im technischen Ge-stell und dessen visionär eingebildeten Beschreibung. Sicher, das Bild hält die Zeit an und verdeutlicht einen subjektiven Blick auf die Gegenwart. Das Kunstwerk liefert ein ganz persönliches geistig-sinnliches Verstehen von Kunst. Ihm geht jede Objektivität ab, um die sich ja die Wissenschaft bemüht. Das Bildwerk gerät erst dann zum Absoluten, indem es den momentanen geschaffenen Zustand aus einem individuellen Geistes überwindet und allgemein estimiert wird. Es sind die Kunstgenießenden, die ein Werk aus seiner Besonderheit holen und zu einem anerkannten Gemeingut machen. Damit gehört diese künstliche Äußerung nicht mehr dem Künstler, der sie geschaffen hat. Das Werk gerät zum Allgemeingut und gerät so zum Objekt der Kunstgeschichte. Dabei drückt die Kunst etwas aus, was der philosophische Verstand nicht mehr exakt fassen und formulieren kann. („Der Philosoph sucht die Wahrheit, der Künstler drückt sie aus.“ Frei zitiert nach Heidegger.) Trotzdem stellt das Kunstwerk den Versuch einer Versöhnung mit seiner Zeit dar (Hegel). Kunst äußert auf ihre wortlose Art die Geschichte des Geistes auf seinem Wege bei der ästhetischen Erfahrung der Welt. Dabei verfolgt sie keinerlei Interessen. In der Kunst geht es nicht um die Generierung von Geld und Masse sondern allein um ein interesseloses Wohlgefallen (Kant). Der Philosophie geht es um die Wahrheit des Denkens frei von berechnenden technisch-mathematischen Interessen, da sind sich beide Disziplinen ähnlich. Sie dienen nicht a priori dem Strömen des KTM (Trawny). Letzteres wird eher von hier aus befragt.

Griechisch gedacht meint „Poesis“ das Schaffen und „Techne“ das Machen. Poetik ist also ein Schaffen, welches ein kreatives Schöpfen ist. Technik meint ein Machen, welches auf eine Verbesserung der Natur abzielt. Daher bleiben Technik und Kapital miteinander verwoben und treten medial im Sinne der Geldgenerierung und -Vermehrung miteinander auf. Kunst und Kultur (wie Philosophie) bleiben da außen vor (Groys), sie generieren Freiheit und Qualität an Stelle mathematisch-technischer Quantität. Doch was soll das Interesse des Menschen überhaupt sein, die Befriedigung der materialen Notdurft allein kann es nicht sein, denn dann wäre er ein Tier. Der Mensch ist mehr, als nur ein sprachbegabtes Säugetier, eine biologische Abnormität,.

Die Philosophie beobachtet die Kunst und die Kultur, deren Paradigmen, das was den Menschen vom Säugetier unterscheidet und ihn zum humanen Wesen macht. Es fragt sich daher, ob die Universalien des KTM (Kapital, Technik, Medium) sich trotz naturtechnisch-mathematischer Dominanz nicht letztlich auf die Befriedigung tierisch triebhafter Notdurft reduzieren.

Die Seele der im Globalen lebenden Menschen retardiert in der diesseitigen geistigen Umnachtung der Welt und ihrer Bilderflut. Die Seele des Philosophen strebt nach Aufklärung in geistiger Helle, wo sich das Paradox der Universalien und ihr dialektischer Mangel auftun (Platon, Höhlengleichnis). Man erinnere sich des Aristoteles, der sagt, da, wo die Vernunft nichts mehr bewirken könne, „Gewalt“ angesagt sei. Mit „Gewalt“ sei hier mal an die zupackende Poesis gedacht. Ja der alltägliche Idiot muss aus seiner Lethargie gerissen werden und Beuys erklärt mit seinem Goldkopf dem Hasen die Kunst. Willst du was wissen, folge dem weißen Kaninchen.

Die Notwendigkeit einer Philosophie der Kunst hat sich nach dem bisher Vorgetragenen ganz sicher als berechtigt erwiesen.

Leute, die keinen Sinn für Philosophie haben und sich bloß um Vielwisserei bemühen, gleichen den Freiern der Penelope, die mit deren Mägden schliefen.“ Gorgias